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START NOW in der Praxis

START NOW ist ein integratives Programm, in dem unterschiedliche Therapierichtungen Berücksichtigung finden.

Die START NOW Strategien

START NOW steht für Slow down, Take a step back, Accept, Respect, Take action.

Hinter diesen START-Strategien, die bei START NOW in einem Basismodul (8 Sitzungen) vermittelt und einem Aufbaumodul (8 Sitzungen) vertieft werden, stehen wesentliche Resilienzfaktoren, die für eine gesunde psychische Entwicklung von zentraler Bedeutung sind: Selbstwirksamkeit, Handlungsfähigkeit und Problemlöseorientierung, ein realistischer positiver Bewertungsstil und insbesondere eine gute Emotions- und Stressregulation.

Ziel ist es, während der Übergangsphase zum Erwachsenenalter mit all ihren Herausforderungen oder nach belastenden Ereignissen wirksame Strategien einsetzen zu können, um die eigenen Ziele und Werte nicht aus den Augen zu verlieren – mit und trotz emotionaler Schwierigkeiten.

Beispielsitzung

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

„Du hast mich nicht gegrüsst – Du magst mich nicht mehr!“

START NOW basiert auf einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansatz, demnach wird Verhalten im Kontext situativer Bedingungen/Auslöser, gedanklichen Bewertungen und nachfolgenden Konsequenzen betrachtet. Eine zentrale Botschaft hierbei ist, dass Klarheit über die eigenen Gedanken, Gefühle und das davon abhängige Verhalten dabei hilft, diese bewusst zu steuern.

Beispielsweise können schädliche Denkmuster erkannt („Ich kann nicht wissen, was andere denken“) und modifiziert werden („Vielleicht hat sie nicht gegrüsst, weil sie einen schlechten Tag hatte/mich nicht gehört hat/in Gedanken versunken war“) und so zu flexibleren Bewertungen, angenehmeren Gefühlen und einem alternativen Handlungsspielraum führen („Ich spreche sie einfach darauf an/Ich probiere es einfach morgen noch mal/Ich kümmere mich nicht weiter drum“).

Das systematische Erfragen von Auslösern, Bewertungen und den Konsequenzen (Gefühlen und Verhalten) wird im Rahmen von START NOW in den jeweiligen Gruppensitzungen anhand von Alltagsbeispielen anhand des ABC´s geübt und fördert insbesondere die START Strategie TAKE A STEP BACK, jedoch potenziell auch alle übrigen START Strategien, abhängig vom gewählten Beispiel.

Traumapädagogik

„Ich spreche nicht mit dir!“

Insbesondere platzierte Jugendliche weisen eine hohe Rate an traumatischen Erlebnissen auf, die mit Verhaltensauffälligkeiten einhergehen und für pädagogische Fachkräfte, insbesondere durch die interaktionellen Schwierigkeiten, eine enorme Herausforderung darstellen. Basierend auf dem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansatz wird den Jugendlichen und Fachkräften Folgendes vermittelt:

Viele Verhaltensweisen sind das Resultat lebenslanger Lernprozesse, die die Sichtweise/Bewertungen von aktuellen Situationen und das daraus resultierende Verhalten häufig unbewusst beeinflussen. Auch selbst- oder fremdschädigende Verhaltensweisen können als Anpassungsleistung an ungünstige Lernerfahrungen verstanden werden, die meist ursprünglich funktional waren, es jedoch zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr sind. So reagiert beispielsweise eine Jugendliche auf jede Art von Beziehungsangebot einer Pädagogin aggressiv, weil sie als Kind durch ihre Eltern häufig emotionale und körperliche Verletzungen erfahren hat. Ein engerer Kontakt zu einer erwachsenen Bezugsperson wird, basierend auf den kindlichen Erfahrungen, unterbewusst als bedrohlich eingestuft und abgewehrt. Die Erwartung der Jugendlichen, dass ihr Ähnliches immer wieder passieren könnte, beeinflusst auch in der Gegenwart ihre Bewertung der Situation („Alle Erwachsenen sind gegen mich – du meinst es nicht gut mit mir“) und ihr Handeln (oppositionelles Verhalten), unabhängig vom spezifischen Verhalten der Pädagogin.

Ein zentraler Ansatzpunkt von START NOW ist deshalb, negative Bewertungen, die aufgrund von einer verzerrten Wahrnehmung (Vermischung von Gegenwart und Vergangenheit) der gegenwärtigen Situation zustande gekommen sind und das aktuelle Verhalten ungünstig beeinflussen, zu hinterfragen („Welche alternative Erklärung gibt es für das Gesprächsangebot?“) und zu modifizieren („Mir ein Gespräch anzubieten, ist eine nette Geste“).

Das Ziel dieses Vorgehens ist eine realistische Beurteilung gegenwärtiger Erlebnisse zu fördern, auf dessen Basis die Jugendlichen entsprechend handeln.

Interview Prof C. Stadler

Motivierende Gesprächsführung

„Ich will nicht mehr!“

Mit Techniken der motivierenden Gesprächsführung kann es gelingen, angemessen mit dem Widerstand gegen Veränderung von Jugendlichen umzugehen. Eine motivierende Gesprächsführung fördert das „Nachdenken über eine Änderung“ und die „Entscheidung für eine Änderung“ und ist deshalb eine zielgerichtete Gesprächstechnik, die auf eine Verbesserung der intrinsischen (=aus eigenem Antrieb heraus) Motivation in Richtung Veränderung abzielt.

Motivierende Gesprächsführung ist jedoch mehr als eine Technik: sie respektiert die Jugendlichen mit ihren individuellen Zielen und macht sie zum Fürsprecher ihrer eigenen Veränderung. 

Aktives Zuhören, Wertschätzung und Akzeptanz des inneren Widerspruchs zwischen dem Wunsch nach Veränderung einerseits und Bedenken gegenüber einer Veränderung andererseits, unterstützen dabei die Jugendlichen in ihrem Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeitsempfinden, ihrer Entscheidungsfindung, ihrem Commitment, ihrer Ausführung und nachhaltigen Verfolgung einer Verhaltensänderung.


Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) und Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)

„Ich fühle mich einsam, aber ich gehe nicht auf die anderen zu. Die wollen mich doch eh nicht dabei haben.“

In START NOW werden neben Methoden der dialektisch behavioralen Therapie (DBT) Methoden der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) berücksichtigt. Der zentrale Ansatz ist zu lernen, unangenehme Gefühle anzunehmen, statt gegen sie anzukämpfen. Gefühle akzeptieren zu können und trotz erlebter Krisen oder schwieriger Situationen handlungsfähig zu bleiben, ist ein entscheidendes Merkmal von Resilienz und deshalb einer der wesentlichen Skills, die in START NOW vermittelt werden.

Erst wenn ein Jugendliche beispielsweise Angst als normales Gefühl akzeptieren kann („Viele Menschen sind nervös, bevor sie neue Leute kennen lernen“, „Meine Nervosität zeigt mir, dass mir die Sache wichtig ist“), kann er dem, was ihm wichtig ist (Freunde finden), ein Stück näher kommen. Die START Strategie ACCEPT steht hier besonders im Fokus.

Sowohl DBT als auch ACT gehören zu den achtsamkeitsbasierten Therapieverfahren. Achtsamkeit bedeutet, Bewusstheit zu entwickeln für den gegenwärtigen Moment (das „Hier und Jetzt“), ohne sich dabei ablenken zu lassen. Dies klingt einfach, ist es aber nicht. Die meisten Menschen erledigen Dinge häufig nebenher, befinden sich im „Autopiloten-Modus“ und ihre Aufmerksamkeit ist eher auf die Vergangenheit oder Zukunft ausgerichtet, statt auf den Augenblick. 

Die konzentrierte Zuwendung zum „Hier und Jetzt“ soll in START NOW geübt werden - eine Einstellung, die von Offenheit, Neugier und einer annehmenden Haltung geprägt ist: „Ich versuche, nichts zu verändern, sondern beobachte zunächst einmal ganz genau, was geschieht, sowohl in mir selbst als auch um mich herum, dabei bewerte ich nicht, weder mich selbst, noch andere, noch die Situation.“ Übungen in diesem Bereich sind sowohl für Jugendliche mit negativen Erfahrungen von zentraler Bedeutung, aber auch für Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, sich auf aktuelle Situationen und Anforderungen zu fokussieren. Die START Strategie SLOW DOWN wird hierbei besonders praktiziert.

Setting

Jugendliche werden neu erworbene Strategien nur dann einsetzen, wenn sie die Erfahrung machen, dass sie damit erfolgreich sind. Dazu sind Pädagogen, Therapeuten und Bezugspersonen wichtig, die die Jugendlichen dabei unterstützen neue Verhaltensstrategien im Alltag auszuprobieren sowie kleine Schritte in Richtung Veränderung bemerken und entsprechend rückmelden können.

Der Transfer von neuen Strategien in den Alltag der Jugendlichen ist das entscheidende Kriterium für eine nachhaltige Verhaltensänderung. Eine konsistente Begleitung und Wertschätzung dieser Transferleistung durch Fachkräfte im Alltagssetting, ist daher umso wertvoller für den persönlichen Ertrag der Jugendlichen.

Durch begleitende Schulungen und Supervision der angehenden START NOW Trainer, die das Gruppentraining selbstständig mit den Jugendlichen durchführen, wird nebst einer verbesserten Resilienz der Jugendlichen auch angestrebt die Handlungsfähigkeit der Fachkräfte in Bezug auf herausfordernde Jugendliche zu verbessern: durch ein vertieftes Verständnis für die Merkmale der Zielgruppe, die Hintergründe von ungünstigen Verhaltensweisen sowie durch konkretes Handwerkszeug im Umgang mit schwierigen Jugendlichen/Situationen.